Super 88 Diesel

Der hier vorgestellte Oliver Super 88 Diesel gelangte 2012 in unsere Schleppersammlung. Dieser in Europa nur sehr selten anzutreffende Schlepper fiel mir auf , als ich wieder einmal in Holland unterwegs war, um bestellte Ersatzteile für meine amerikanischen John Deere-Schlepper abzuholen. Durch mein Interesse an amerikanischen Oldtimern war mir Oliver als Schlepperhersteller durchaus ein Begriff, wenngleich ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie einen Oliver in natura zu Gesicht bekommen hatte.

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Obwohl der Oliver in der hintersten Ecke der Halle des holländischen Teilehändlers stand, begeisterte er  mich sofort durch seine Größe und die langgezogene, fast schon stromlinienförmig gestaltete Motorhaube.  Als ich den Oliver näher betrachtete, fiel mir sofort sein Sechszylinder-Dieselmotor auf, wie auch sein augenscheinlich erstaunlich guter Originalzustand. Sechs Zylinder, Originalzustand? Da begann es, wieder in den Fingern zu kribbeln.  Meiner Bitte nach einer Probefahrt wurde schnell entsprochen, und der Oliver wurde flugs freigeräumt. Eine passende Starterbatterie war schnell eingebaut. Der große Oliver konnte nun probehalber gestartet werden. Erst nach einiger Orgelei erwachte der Sechszylinder zum Leben. Doch das war recht ernüchternd, da er sehr unrund lief und die ganze Halle mit beißendem Qualm ausfüllte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon fast die Lust am Oliver verloren, doch von Minute zu Minute begann der Oliver weicher und gleichmäßiger zu laufen, und auch die Qualmentwicklung nahm immer mehr ab. Nach ungefähr zehn Minuten lief der Motor dann seidenweich und rund, und die Abgase waren nicht mehr sichtbar. So schlecht schien es um den Oliver Super 88 also doch nicht zu stehen. Für das schlechte Statverhalten  machte ich defekte Einspritzdüsen verantwortlich.

Die anschließende Probefahrt war vielversprechend. Der Motor lief sauber und kraftvoll und zeigte ausreichend Leistung bei sehr spontaner Gasannahme. Wie bei wohl allen US-Oldtimerschleppern wies die Lenkung ein gigantisches Lenkspiel auf,  die Bremspedale griffen ins Leere und zeigten keinerlei Wirkung. Wiederum positiv fiel mir das leise laufende Getriebe und das vollständig erhaltene und augenscheinlich rostfreie Blechkleid auf. Hier war nichts verbeult oder gar rostig, auch besaß der grüne Originallack noch immer seinen Glanz- fast wie damals bei seiner Auslieferung im Jahre 1956.

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Diese Basis überzeugte mich und ich beschloss, diesen Oliver zu meinem nächsten Restaurierungsprojekt werden zu lassen. Mit dem Verkäufer wurde ich schnell handelseinig. Aus Platzgründen (und um das Loch im Portemonnaie wieder zu schließen) gab ich meinen Güldner AF20 H in Zahlung. Auch hier passte das Angebot.

Oliver-Traktoren haben eine lange Tradition, wenngleich sie niemals nach Europa exportiert wurden. Der Markenname „Oliver“ entstand in schon im 19.Jahrhundert, Traktoren mit dem Oliver-Emblem gab es seit den frühen 1930er Jahren. Sie entstanden aus dem Zusammenschluß  der Firmen Oliver und Hart-Parr.  Oliver baute nie so viele Traktoren wie die beiden großen amerikanischen Hersteller John Deere und IH-McCormick, legte dafür aber Wert auf hohe Qualität und eine gewisse Exklusivität. So wiesen Oliver-Schlepper schon zu Zeiten vor dem zweiten Weltkrieg komplette, stromlinienförmig gestaltete Motorverkleidungen auf. Während John Deere durchweg Zweizylinder- und IH McCormick Vierzylinder-Motoren verbaute, spendierte Oliver seinen Streamline- und Fleetline Baureihen Sechszylinder-Motoren. Diese ließ Oliver beim großen Motorenhersteller Waukesha (benannt nach der Stadt in Wisconsin) als Benzin-, Flüssiggas- und Dieselaggregate fertigen.

Der in meinem Oliver Super 88 Diesel verbaute Sechszylinder-Dieselmotor hat einen Hubraum von 4,3 Litern und leistet bei 1.650 U/min  ca. 55 PS. Als Besonderheit ist das aufwendige Lanova-Verbrennungsverfahren zu nennen, nach dem der Motor arbeitet.

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Die meisten Oliver-Traktoren waren in „Standard“- und „RowCrop“-Bauweise lieferbar. In der „RowCrop“-Bauweise wiederum konnte der amerikanische Farmer aus verschiedenen Vorderachskonstruktionen wählen: Einzelrad, Doppelrad oder „Adjustable Wide Front“, sprich: verstellbare Achse mit breiter Spur. Mit einer solchen verstellbaren Achse wurde seinerzeit auch mein Oliver geordert, zudem mit zwei hydraulischen Steuergeräten und einer kupplungsunabhängigen Zapfwelle. Durch die hochbeinige „RowCrop“-Bauweise war der Oliver optimal geeignet für die Arbeiten auf Hackfruchtfeldern.

Bei der Zerlegung des Olivers in den Jahren 2013/2014 stellte sich heraus, dass der wunderbare optische Zustand über den doch recht schlechten technischen Zustand hinwegtäuschte. Der Motor benötigte entgegen meiner ersten Annahme doch eine Komplettüberholung. Die Kupplung war wegen eines undichten Kurbelwellensimmerrings öldurchtränkt und somit unbrauchbar. Das Getriebe stand randvoll mit Wasser und verlangte nach einer neuen Eingangswelle samt Lagerung, die Bremsanlage war schrottreif. Die Vorderachslagerung wies ein Spiel von sechs Millimetern auf. Das Sitzgestell war defekt und wurde einst mit diversen Flacheisen irreversibel festgeschweisst.  Die gesamte elektrische Anlage war marode, zudem wurde vor vielen Jahren die originale Gleichstromlichtmaschine gegen eine Drehstromlichtmaschine eines PKW getauscht. Alle vier Reifen waren rissig und mussten ersetzt werden. Die Gesamte Aufarbeitung nahm dann auch ganze zwei Jahre in Anspruch und wurde dementsprechend teuer. Der komplette Neuaufbau des Waukesha-Sechszylinders war dabei der „teuerste“ Brocken. Dank der guten Ersatzteilversorgung und dem Engangement der Firma Kirsch-Motorentechnik läuft der Motor nun jedoch ganz wunderbar- wie am ersten Tag.

Schon zu Beginn der Arbeiten am Oliver stand das Ziel fest: Komplette technische Aufarbeitung unter Beibehaltung des optischen Originalzustandes mit einer TÜV-Abnahme und regulärer deutscher Straßenzulassung. Die TÜV-Abnahme stellte natürlich hohe Anforderungen an die Aufarbeitung der Bremsen und der Lenkmechanik. Zudem musste die elektrische Anlage komplett neu konzipiert werden und den Anforderungen der deutschen STVZO entsprechen.  Mit der Vorführung zur Vollabnahme und der anschließenden Zulassung zum Straßenverkehr im Herbst 2014 konnte die Restaurierung des Olivers abgeschlossen werden. 

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Hier können Sie die ersten Startversuche des Olivers nach dem kompletten Neuaufbau des Motors verfolgen. Viel Spaß!